Aus dem ETF-Magazin: "Überschätzter Einfluss"
Der US-amerikanische Aktienmarkt ist politisch eher uninteressiert. Größere Beachtung findet die Politik der US-Zentralbank - und vielleicht bald die ausufernden Staatsschulden, analysieren Kristina Hooper und Brian Levitt im ETF Magazin.
24. September 2024. MÜNCHEN (ETF Magazin). Die US-Präsidentschaftswahlen rücken näher – und Anlegende auf der ganzen Welt fragen sich, welche Auswirkungen zu erwarten sind. Vor allem der Rückzug von Präsident Joe Biden aus dem Rennen um die Präsidentschaft sorgt für Spannung. Ich denke jedoch nicht, dass sich dadurch viel an den politischen Zielen der beiden Lager ändern wird. Bedenken Sie, dass Kamala Harris, die Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei, die derzeitige Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten ist und damit der Regierung Biden angehört. Deshalb wird Harris vermutlich die bisherige Politik der Biden-Regierung fortsetzen, auch wenn sie an einigen Stellen etwas progressiver agieren dürfte, insbesondere angesichts ihres progressiven Vizepräsident-Kandidaten, Tim Walz. Die Politik Donald Trumps dürfte konservativer ausfallen und der Status quo der Regierungsführung dürfte im Falle seiner Wahl stark gestört werden. Die Entscheidung Trumps für J.D. Vance als möglichen Vizepräsidenten wird als klare Bestätigung seiner sehr konservativen MAGA-Politik (Make America great again) gesehen.
Aber letztendlich hängt es weitgehend von der Zusammensetzung des Kongresses ab, ob ein Präsident seine Wahlversprechen verwirklichen kann. Wenn der Senat und das Repräsentantenhaus der gleichen Partei angehören wie der Präsident, können sie die Politik des Präsidenten „absegnen“. Hat dagegen die gegnerische Partei die Mehrheit, kann sie die meisten politischen Initiativen des Präsidenten blockieren.
Trotz aller Aufmerksamkeit, die den US-Präsidentschaftswahlen gewidmet wird, lehrt uns allerdings die Geschichte, dass Wahlen für die Finanzmärkte nicht wirklich wichtig sind. Wenn man sich das Wirtschaftswachstum und die Aktienmarktrenditen seit der Eisenhower-Regierung (1953-1961) ansieht, wird klar, dass keine Partei eine überlegene Wirtschafts- oder Marktleistung für sich beanspruchen kann. Das zu wissen sollte für Anleger eine Erleichterung sein.
Keine dramatischen Änderungen
Anlegerinnen und Anleger sind oft besorgt, dass eine neue Regierung die Wirtschaft radikal umgestaltet. Tatsächlich ist jedoch die Zusammensetzung der US-Wirtschaft seit Jahrzehnten konstant. Die wichtigsten Komponenten haben ungefähr den gleichen Anteil an der US-Wirtschaft. Selbst in Zeiten, in denen eine Partei weitgehend allein regierte, kam es nicht zu wesentlichen Veränderungen. Viele Anleger sind auch besorgt, dass fiskalische Anreize wie Steuersenkungen oder höhere staatliche Leistungen das Haushaltsdefizit erhöhen könnten, ohne positive Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Fiskalische Anreize haben unterschiedliche Auswirkungen auf die US-Wirtschaft. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, inwieweit sie den Wirtschaftsmotor ankurbeln könnten, ist es wichtig, den Multiplikatoreffekt der verschiedenen Formen von Staatsausgaben zu betrachten. Ich finde es ermutigend, dass auch Industrieländer wie die USA in letzter Zeit industriepolitische Maßnahmen ergriffen haben. Insbesondere das amerikanische CHIPS-Gesetz, könnten sich positiv auf die US-Wirtschaft und die Produktivität auswirken. Ich glaube jedoch, dass auf längere Sicht externe Kräfte, die nichts mit der Politik zu tun haben – technologische Innovationen wie die künstliche Intelligenz – einen weitaus größeren Einfluss auf die Wirtschaft haben werden, weil dadurch die Produktivität steigt.
Es ist auch wichtig festzustellen, dass beide der großen Parteien zur fiskalischen Verantwortungslosigkeit in den Vereinigten Staaten beigetragen haben. Die Bundesausgaben haben in den meisten Jahren und unter den meisten Regierungen seit 1960 die Steuern und andere Einnahmequellen der Regierung überstiegen. Zugegeben, es gab Zeiten größerer finanzieller Zurückhaltung – in der Regel durch geteilte Regierungen, in denen eine politische Partei als Kontrollinstanz für die andere politische Partei diente. Selten hat dies jedoch zu einem ausgeglichenen Haushalt geführt.
Der ungewöhnlichste Zeitraum, in dem die US-Regierung tatsächlich Haushaltsüberschüsse erzielte, war während der Amtszeit Bill Clintons von 1998 bis 2001. Damals kontrollierte nicht Clintons demokratische Partei den US-Kongress, sondern die gegnerischen Republikaner. Während der Regierungszeit des Demokraten Barack Obama begannen die Republikaner im Repräsentantenhaus kurz nach ihrer Machtübernahme die Strategie der Sequestrierung. Diese diente dazu, einige Steuerausgaben zu reduzieren. Es wurde jedoch kein ausgeglichener Haushalt erreicht, geschweige denn ein Haushaltsüberschuss.
Gefährliche Staatsschulden
Durch all diese Defizite der vergangenen Jahrzehnte hat sich ein enormer Schuldenberg aufgetürmt. Tatsächlich haben die US-Staatsschulden in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte ein Niveau von 34 Billionen US-Dollar erreicht. Die Kosten für den Schuldendienst haben sich dramatisch erhöht, da neben der Verschuldung auch die Zinsen stark gestiegen sind. 659 Milliarden US-Dollar gab die US-Regierung nach Angaben des Congressional Budget Office im Haushaltsjahr 2023 für Zinszahlungen aus. Im Haushaltsjahr 2024 wird der Staat voraussichtlich 889 Milliarden US-Dollar für Zinszahlungen aufwenden. Mit anderen Worten: Im laufenden Haushaltsjahr wird der Schuldendienst wohl die Verteidigungsausgaben der USA übersteigen.
Der Congressional Research Service (CRS) veröffentlichte im Dezember einen Bericht, in dem er vor den möglichen Folgen des hohen Schuldendienstes warnte. Besonders besorgniserregend sei, dass durch das neue Zinsumfeld schneller ein gefährlicher ‚Kipppunkt‘ erreicht werden könnte, warnt der CRS. Ab diesem Punkt würde die Schuldenlast das US-Wirtschaftswachstum „dauerhaft und negativ“ beeinflussen. Es könnte sogar ein Schuldenausfall bevorstehen, also „ein Szenario, bei dem die Regierung nicht in der Lage wäre, die Kreditgeber vollständig zu bezahlen“.
Die Staatsverschuldung wird also zu einem ernsten Problem und könnte die Märkte beeinflussen, weil sie das Schreckgespenst des Anleihe-Vigilantismus hervorruft und alle damit verbundenen Probleme. Trotzdem scheint es unwahrscheinlich, dass das Schulden- Problem von einer der beiden Parteien gelöst werden kann. Eine „geteilte“ Regierung könnte zumindest in Hinblick auf die wünschenswerte Reduzierung des Haushaltsdefizits ein wenig hilfreich sein.
Aktienmarkt ist unpolitisch
Gemessen an der Gesamtrendite des S&P-500-Index hat der US-Aktienmarkt seit 1929, mit wenigen Ausnahmen, unter den meisten Präsidenten positive Renditen erzielt. Diese seltenen Ausnahmen waren Regierungszeiten, die in tiefen Rezessionen endeten: die Präsidentschaft von Herbert Hoover, die Präsidentschaft von Richard
Nixon und die Präsidentschaft von George W. Bush. Unter allen anderen Präsidentschaften wurden seit 1929 Aktienmarktgewinne von knapp zehn Prozent oder mehr erzielt, trotz erheblichen Schwankungen. Betrachtet man die Ein-Jahres-Renditen unter den
einzelnen Regierungen seit 1961, so ergibt sich ein ähnliches Bild. Meistens lagen die maximalen Einjahresgewinne des S&P 500 Index nahe 40 Prozent und die maximale Einjahresrückgänge zwischen 15 und 20 Prozent. Die durchschnittliche einjährige Höchstrendite betrug 44,1 Prozent und der durchschnittliche Jahres-Verlust 19,4 Prozent.
Mit anderen Worten: Der Aktienmarkt ist politisch uninteressiert. Um dies zu belegen, haben wir die Aktienmarktentwicklung über einen noch längeren Zeitraum betrachtet: den Dow Jones Industrial Average Index seit 1896. Hätte man nur in demokratische Regierungen oder nur in republikanische Regierungen investiert, wäre das Anlageergebnis nur ein Bruchteil von dem, was es wäre, wenn man über den gesamten Zeitraum voll investiert gewesen wäre. Das Portfolio mit der besten Performance in den vergangenen 127 Jahren war das „überparteiliche“ Portfolio gewesen, das sowohl während der Regierungszeit der Demokraten als auch der Republikaner voll in Aktien investiert war.
Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die Märkte in der Vergangenheit nicht so entwickelt haben, wie es vielleicht angesichts der Politik der jeweils regierenden Partei zu erwarten gewesen wäre. So unterzeichnete Präsident Biden in den Jahren 2021 und 2022 drei wichtige Gesetzesentwürfe, die erhebliche Mittel für Infrastrukturausgaben vorsahen. Dennoch entwickelten sich sowohl der Rohstoff- als auch der Industriesektor im Jahr 2023 schlechter als der S&P 500 Index – und das, obwohl diese Gesetze dazu beitrugen, dass in den USA ab 2022 sehr umfangreiche Bauausgaben für Nichtwohngebäude getätigt wurden.
Die Realität ist, dass die Geldpolitik in der Vergangenheit für die Märkte eine weitaus größere Rolle gespielt hat als die Frage, wer im Weißen Haus sitzt. So stand die Performance des S&P 500 in engem Zusammenhang mit den geldpolitischen Zyklen, wobei eine starke Performance in der Regel aus dem Ende eines Straffungszyklus der US-Zentralbank (Fed) resultierte. In fünf der letzten sechs Straffungszyklen verzeichnete der S&P 500 in den zwölf Monaten nach der letzten Zinserhöhung zweistellige Gewinne. Bei allem Fokus auf die Exekutive war in der Vergangenheit die Geldpolitik für die Märkte von größerer Bedeutung. Die Geldpolitik der Fed kann sogar einen großen Einfluss auf die Kosten des Schuldendienstes und die Belastung des Wirtschaftswachstum haben. Wenn die Zinsen sinken, kann der Betrag sinken, den die Bundesregierung für den Schuldendienst ausgibt, selbst wenn sich keine der Parteien um Ausgabendisziplin bemüht.
Einen Vorbehalt sollte ich in Bezug auf die Unabhängigkeit der US-Zentralbank anbringen. Donald Trump hat angedeutet, dass er Einfluss auf ihre Politik nehmen will. Kamala Harris hat versprochen, die Unabhängigkeit der Fed zu erhalten. Die Fed mag nicht immer richtig liegen, aber ich denke, die Marktteilnehmer hätten weniger Vertrauen in die Fed, wenn sie den Eindruck hätten, dass die Zentralbank ihre Entscheidungen auf Grundlage kurzfristiger politischer Erwägungen trifft.
Obwohl es also große politische Unterschiede zwischen den Kandidaten gibt, die erhebliche Auswirkungen auf die Außenbeziehungen, die Einwanderungspolitik, die Regulierungspolitik und andere wichtige Bereiche haben können, lehrt uns die Geschichte, dass dies wahrscheinlich kaum Auswirkungen auf die Märkte haben wird. Aus der Anlageperspektive ist es für die Märkte viel wichtiger, wer in der US-Zentralbank sitzt und welche Entscheidungen dort getroffen werden. Ich hoffe, dass sich Anleger bei der Verwaltung ihrer Anlageportfolios auf die Geldpolitik und nicht auf die US-Wahlen konzentrieren.
Kristina Hooper ist Chief Global Market Strategist der US-Fondsgesellschaft Invesco. Zu ihrem Gastbeitrag hat Brian Levitt, Global Market Strategist bei Invesco, beigetragen.
Von Kristina Hooper und Brian Levitt, September 2024, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
- ETF Magazin als PDF herunterladen