Aus dem ETF-Magazin: "Börsenparty wie 1995"
Verblüffend deutliche Parallelen zur Situation vor 30 Jahren deuten an, wie es am Aktienmarkt weitergehen könnte. Wiederholt sich die Geschichte, warten stolze Gewinne, erwartet das ETF Magazin.
16 Juli 2024. MÜNCHEN (ETF Magazin). Das Jahr 1995 war in mancher Hinsicht ein eher gewöhnliches Jahr: Auf dem Balkan wütete ein schrecklicher Krieg, die IG-Metall setzte die 35-Stunden-Woche durch, Steffi Graf gewann zum sechsten Mal in Wimbledon. Doch für Aktienhändler und Investoren war 1995 ein Jubeljahr. Es war das Jahr, in dem die US-Zentralbank Fed den Startschuss gab zur stärksten Aktien-Rally der jüngeren Geschichte. Jetzt könnte sich die Geschichte wiederholen, sagt Chen Zhao, Chief Global Strategist des unabhängigen kanadischen Research-Hauses Alpine Macro. „Natürlich darf man keine exakte Wiederholung erwarten. Aber die verblüffenden Parallelen zwischen damals und heute deuten an, wie sich die Börssen entwickeln werden“, erklärt Zhao. Behält er recht, werden bei Anlegern wieder die Korken knallen.
Wir erinnern uns: Nach dem traurigen Börsenjahr 1994 ging es 1995 umso schneller bergauf. Bereits nach drei Monaten waren die ersten zehn Prozent Kursanstieg geschafft. Aber das war nur die Overtüre. An Sylvester konnte Aktienkäufer auf ein Jahresplus von 35 Prozent anstoßen. Dann ging die Börsenparty richtig los. Im Februar 1998 schloss der Index erstmals über der 1000-Punkte-Marke: 100 Prozent Plus in weniger als drei Jahren. Nur zwei Jahre später waren weitere 50 Prozent Anstieg zu verbuchen. Am 24. März 2000 markierte der S&P-500 mit 1527 Punkten einen Rekord, der für sieben Jahre sein Allzeithoch blieb.
230 Prozent Zuwachs in sechs Jahren, das gibt es selten. Doch auch die aktuelle Aktienhausse ist nicht von schlechten Eltern. Seit dem Ende der letzten Korrektur im Oktober 2022 sind bereits wieder 40 Prozent Plus zu verbuchen. Die ersten Börsenprofis werden langsam nervös. Selbst Hedgefonds-König Ray Dalio muss anscheinend seine Kunden beruhigen und erklärte deshalb Ende Februar in einem LinkedIn-Post: „Am Aktienmarkt kann ich aktuell keine Blase erkennen.“ Dalio misst das Ausmaß der Übertreibung mit seinem „Bubble-Indikator“, der auf sechs Überhitzungserscheinungen abstellt. Aktuell steht der Indikator im mittleren Bereich. Nach Dalios Meinung sind die anhaltenden Kursgewinne kein Zeichen von irrationalem Überschwang, sondern von rationaler Begeisterung.
Atemberaubende Rally
Ähnlich war es vor dreißig Jahren. Schon 1996 sprach der damalige US-Zentralbankchef Alan Greenspan von ‚irrationalem Überschwang‘. Doch Greenspans Blase platzte erst vier Jahre später. „Wer nach Greenspans Warnung weiterhin Geld in Aktien steckte, kassierte großzügige Renditen“, erinnert der US-Ökonom Burton Malkiel. Nach seiner Einschätzung „besteht kein Zweifel daran, dass der aktuelle Aktienmarkt viele Ähnlichkeiten mit der Internetblase aufweist“. Doch die Lage gleiche eher dem Bullen-Markt von 1996, als der Börse von 2000, als die Kurse zusammenbrachen.
Auch Ed Yardeni, Chef von Yardeni-Research erkennt starke Paralellen zur Börse vor 30 Jahren. „Wir haben bislang die aktuelle Situation gern mit den 20er- und 70er-Jahren verglichen. Doch nach der starken Hausse seit Oktober 2022 erscheint uns inzwischen ein anderes Szenario passender: die zweite Hälfte der 90er-Jahre“, sagt der Wall-Street-Kenner und renommierte Fed-Beobachter. Vor 30 Jahren hätte der Nasdaq dem breiten Aktienmarkt den Weg gewiesen. Dies scheine sich zu wiederholen. Die Entwicklung in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre sei auch das wahrscheinlichste Skript für die Entwicklung der US-Leitzinsen im Rest des laufenden Jahrzehnts. „Damals schossen die Aktienkurse in die Höhe. Der positive Vermögenseffekt kurbelte das Wirtschaftswachstum an. Die Inflation wurde durch ein rasches Produktivitätswachstum gedämpft“, bilanziert Yardeni.
Blühende Börsen. Alpine-Macro-Chef Zhao zieht ähnliche Schlüsse. 1994 sei der Fed ein seltenes Kunststück gelungen – dass sie womöglich heute ein zweites Mal zustande bringt. Von Herbst 1993 bis Mitte 1996 stieg der US-Leitzins um 300 Basispunkte, und damit fast so rasant wie seit Anfang 2022. Doch obwohl die US-Zentralbank die Zinsschrauben massiv anzog, stürzte die US-Wirtschaft nicht in eine Rezession, während sowohl Inflation als auch Arbeitslosigkeit massiv zurückgingen. „Die US-Wirtschaft weigerte sich, dem Druck steigender Zinsen zu erliegen. Stattdessen entwickelte sich in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre ein disinflationärer Boom, angetrieben von Produktivitätsfortschritten und der Internet-Revolution“, berichtet Zhao.
Auch auf die Zinserhöhungsorgie der Zentralbank im Jahr 2022 folgte bislang keine Rezession. Im Gegenteil: Im ersten Quartal 2024 präsentierte sich die US-Wirtschaft erneut robust mit einer jährlichen Wachstumsrate von 2,9 Prozent. Die Inflationsrate betrug im April nur noch 3,4 Prozent. Ende 2022 stiegen die US-Verbraucherpreise noch doppelt so stark. Diese Stärke der US-Wirtschaft hätte es in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre der Fed erlaubt, die Zinssätze auf dem erreichten Plateau zu halten, erklärt Zao. Jetzt könnte sich die Fed für eine ähnliche Strategie entscheiden: ein paar kleine Zinssenkungen, gefolgt von einer Pause, oder womöglich auch gar keine Zinssenkungen. „Die Fed gerät nicht in Panik, weil die Wirtschaft nicht in Schwierigkeiten ist. Erwarten Sie keine übereilte Lockerung“, sagt der Analyst.
Zhao zeigt noch weitere Parallelen auf. Damals wie heute war die US-Wirtschaft fitter als die Wirtschaft anderer wichtiger Volkswirtschaften. Entsprechend stark zeigte sich damals der US-Dollar. Auch heute könne deshalb „die starke Divergenz zwischen den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt bedeuten, dass der Dollar noch länger stark bleibt“.
Alles in allen sei die Botschaft für heute ziemlich eindeutig, resümiert Zhao: Eine starke US-Wirtschaft bei tendenziell sinkender Inflation und steigender Produktivität, begleitet von zunehmenden Unternehmensgewinnen und höheren Gewinnspannen. Genau wie vor 30 Jahren. Wenn die Fed, wie von Alpine Macro erwartet, in der zweiten Jahreshälfte die Zinsschraube etwas lockert, dürfte das eine ähnliche Rally auslösen wie 1995, auch diesmal angeführt von den großen Technologiewerten. „Bereiten Sie sich auf einen blühenden Aktienmarkt vor“, empfiehlt der Börsenstratege.
Lockende US-Aktien
Der US-amerikanische Aktienmarkt präsentiert sich in vielen Facetten und fast ebenso vielen ETFs. Besonders groß – und inzwischen auch sehr preiswert – ist das Angebot bei ETFs auf den Leitindex S&P 500. Beim kostengünstigsten, dem SPDR S&P 500 ETF von State Street Global Advisors, belasten nur noch bescheidene 0,03 Prozent laufende Kosten. Dieser ETF bildet den Index physisch ab. Synthetisch replizierende ETFs, die den Index mithilfe von Wertpapierswaps abbilden, können unter Umständen eine leicht höhere Rendite bringen, denn sie profitieren von einem Steuervorteil bei der Besteuerung der Dividenden. Die beiden preiswertesten synthetisch replizierenden ETFs sind der Invesco S&P 500 ETF und der iShares S&P 500 Swap ETF mit einer Kostenquote (TER) von je 0,05 Prozent. ETFs auf den Nasdaq-100-Index haben dagegen meist Kosten von mindestens 0,20 Prozent. Nur der AXA IM Nasdaq 100 ETF liegt mit einer TER von 0,14 Prozent darunter.
Eine spannende Alternative zu ETFs auf die bekannten Indizes sind zwei Faktor-ETFs. Der Invesco S&P 500 QVM ETF orientiert sich bei der Zusammenstellung des Portfolios nicht an der Marktkapitalisierung der Unternehmen, sondern an den drei Rendite-Faktoren Quality, Value und Momentum. Invesco bewertet jedes S&P-500-Unternehmen zweimal im Jahr anhand der Bilanzqualität, der Börsenbewertung sowie der Kursdynamik der Aktie. Alle drei Faktoren gelten als verlässliche Performance-Treiber. Der ETF bestätigt das: In den vergangenen drei Jahren hängte er den S&P-500-Index relativ deutlich ab, vor allem, weil er das schwierige Aktienjahr 2022 ohne Verluste überstand. Auch in diesem Jahr liegt der ETF mit einem Plus von mehr als 18 Prozent vor dem US-Leitindex.
Stark bei anziehenden Aktienkursen zeigte sich in den vergangenen Jahren auch der iShares MSCI USA Momentum Factor ETF, der in rund 120 US-Aktien mit besonders dynamischer Kursentwicklung investiert. Mit mehr als 20 Prozent Kursplus seit Jahresbeginn hängte er jetzt erneut den Gesamtmarkt ab. Der Grund: Kursraketen wie Nvidia und Broadcom sind in diesem ETF viel höher gewichtet als im S&P 500, Schwächlinge wie die Apple-Aktie sind dagegen im ETF-Portfolio nicht vertreten.
Attraktiv und preiswert
296 ETFs für US-Aktien notieren inzwischen an der Frankfurter Börse. Die Tabelle unten zeigt einige besonders interessante ETFs. Eine umfassende Übersicht findet sich in unserer ETF-Datenbank ab Seite 40.
Von Uli Kühn, Juni 2024, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
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