Aus dem ETF-Magazin: "Drama in Fernost"
China steckt in der Krise. Das belastet nicht nur chinesische Aktien, sondern auch breite Schwellenländer-ETFs. Doch einige ETFs bieten einen Ausweg aus der China-Falle, erwartet das ETF-Magazin.
23. April 2024. MÜNCHEN (ETF Magazin). Der Drachen steht in China für Glück, Güte, Intelligenz und Reichtum. Doch ausgerechnet im jetzt begonnenen Jahr des Drachens sieht es in China in Bezug auf den Reichtum nicht allzu gut aus. In wirtschaftlicher Hinsicht begann das neue chinesische Jahr ähnlich schlecht, wie das alte endete. Schon für 2023 war ein dynamischer Aufschwung erwartet worden. Doch die Erholung der Wirtschaft verläuft schleppender als gedacht. An der Börse kommt das schlecht an: Seit zwei Jahren sind chinesische Aktien auf Tauchgang und ziehen damit auch breit aufgestellte Emerging-Markets-ETFs nach unten. Doch mit den richtigen ETFs gelingt der Ausbruch aus der China-Falle.
Schlappe für Peking
„Chinas Wirtschaft ist 2023 offiziell um 5,2 Prozent gewachsen. Damit entspricht dieser Wert noch dem Ziel der Regierung. Er bleibt allerdings deutlich hinter den Erwartungen nach dem Re-Opening der Wirtschaft nach Corona zurück“, sagt Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege der Fondsgesellschaft Fidelity International. Ob das von Pekings Statistikern gemeldete, gerade noch planmäßige, Wirtschaftswachstum der Realität entspricht, bleibt fraglich. Denn vor allem der für China wichtige Außenhandel verliert mächtig an Schwung. So gingen die chinesischen Exporte 2023 um 4,6 Prozent zurück. Bei den Importen betrug das Minus sogar 5,5 Prozent.
Der Handel der Volksrepublik hat dabei nicht nur mit schwächerer Nachfrage im In- und Ausland zu kämpfen. „Es drohen auch längerfristige Bremsspuren, wenn Lieferketten infolge der Spannungen mit den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern mit dem Wunsch nach mehr Unabhängigkeit und „De-Risking“ neu justiert werden“, erklärt Roemheld.
Jetzt schlittert China sogar noch in die Deflation. Im Januar fielen die Preise um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Nachlassende Verbrauchernachfrage und Überkapazitäten, unter anderem bei Elektroautos und Solarpanelen, sind einige Gründe dafür. Die Angst vor einer negativen Preisspirale bremst Konsum und Investitionen inzwischen merklich. Verbraucher und Unternehmen schieben ihre Investitionen auf, was das Wachstum weiter schwächt. Anders als im Westen, wo auch höhere Energiepreise für mehr Inflation sorgen, greift dieser Effekt in China nicht. In China hält der Staat die Energiepreise künstlich niedrig.
Auch die Probleme auf dem chinesischen Immobilienmarkt belasten Konjunktur und trüben die Stimmung von Verbrauchern und Investoren. Schätzungsweise drei Viertel der Ersparnisse der chinesischen privaten Haushalte stecken in Immobilien. Die Zwangsauflösung des einst größten chinesischen und hoch verschuldeten Baukonzerns Evergrande durch ein Hongkonger Gericht Ende Januar hat gerade erst weiteren Druck auf den Immobiliensektor ausgeübt. Obwohl die direkten Auswirkungen als begrenzt eingestuft werden, könnte die Abwicklung bei anderen Immobilienentwicklern zu Schwierigkeiten führen. Diese Perspektive zieht die ohnehin schon schlechte Stimmung weiter nach unten.
„Alle diese Entwicklungen deuten auf eine tiefgreifende Malaise hin, die sich nicht einfach durch kurzfristige Maßnahmen beheben lässt“, fasst Jens Kummer, CIO des Frankfurter Investment-Consultants Faros, die Situation zusammen. „Derzeit sehen wir in China eine so genannte Bilanzrezession, in der Haushalte und Unternehmen ihre Schulden tilgen und weniger konsumieren beziehungsweise investieren. Sinkende Vermögenspreise – vor allem im Immobiliensektor – verschärfen dabei die Situation“, erklärt Kummer. Die Situation stellt die chinesische Regierung vor große Herausforderungen. Sie müsste dringend das Vertrauen in die chinesische Wirtschaft und den chinesischen Aktienmarkt wiederherstellen.
„Bis jetzt haben die eher zögerlichen Maßnahmen der chinesischen Führung allerdings das Gegenteil bewirkt und die Wirtschaft und viele Investoren mehr verunsichert als beruhigt“, sagt jedoch Marktstratege Roemheld. Kritisch sei unter anderem, dass die Kontrollen über Wirtschaft und Gesellschaft immer engmaschiger werden, dass die strukturellen Probleme nicht entschieden genug angegangen werden und die Maßnahmen zur Beruhigung der Börsen zu zögerlich seien. „Statt auf einen freien, wettbewerbsorientierten Markt zu vertrauen, reagieren Chinas Machthaber mit noch mehr Regulierung“, bilanziert Roemheld.
Chinas Führung ist zu zögerlich
Um die Talfahrt zu beenden, kündigte Premierminister Li Qiang zwar einen Stabilisierungsfonds im Volumen von umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar an. Dieser verpuffte allerdings nach wenigen Tagen. Außerdem versucht die Staatsführung, Chinas Sparern die Aktienanlage als Alternative zum Immobilieninvestment schmackhaft zu machen. Zu den weiteren Markteingriffen zählen die Beschränkung von Leerverkäufen und von neuen Börsengängen, sowie gelockerte Regeln für Aktienrückkäufe und Dividenden. Für Aufsehen hat zudem gesorgt, dass der bisherige Chef von Chinas Wertpapieraufsicht ausgetauscht wurde.
Doch Experten bezweifeln, dass die Stützungsmaßnahmen zum Erfolg führen. „Ein Problem ist, dass sich die traditionelle geldpolitische Antwort auf eine schwache Wirtschaft – die Senkung von Zinssätzen – in einer Bilanzrezession als weitgehend wirkungslos erweist“, warnt Kummer. Effektiver wäre nach seiner Einschätzung eine Kombination aus Strukturreformen, gezielten staatlichen Investitionen, Unterstützungsmaßnahmen für die betroffenen Sektoren sowie die Stärkung des Verbrauchervertrauens. „Dies ist aber nach aktuellem Stand nicht geplant. Das sorgt für Enttäuschung auf der Anlegerseite“, ergänzt Kummer.
In der Tat scheint die Unzufriedenheit mit den staatlichen Maßnahmen die Investorenstimmung mächtig zu trüben. Seit August 2023 haben nicht nur internationale Investoren, sondern auch chinesische Privatanleger im großen Stil Geld aus chinesischen Aktien abgezogen. Das schlägt sich seit Jahren in den Kursen der wichtigsten China-Börsenindizes nieder. So ist der chinesische Leitindex CSI 300 in den vergangenen drei Jahren um 45 Prozent gefallen und notiert nun erstmals wieder auf dem Niveau von 2018.
Monica Defend, Leiterin des Amundi Investment Institute, hat trotzdem noch Hoffnung. „Nicht alles ist schlecht“, erklärt sie. Die wesentliche Frage sei, ob China sein bisheriges Wirtschaftsmodell transformieren und so Wachstumsquellen erschließen und die Produktivität steigern kann. „Nicht zu vernachlässigen ist, dass China bereits heute eine führende Rolle bei wichtigen Zukunftstechnologien – darunter Clean Energy, Elektromobilität, Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotics sowie Quantencomputer – innehat“, erklärt Defend.
Auch Kummer will China noch nicht ganz abschreiben. Zwar sei das schuldengetriebene Wirtschaftsmodell an seine Grenze gestoßen und schmerzliche Reformen seien nun unausweichlich. Allerdings gäbe es in China viele global tätige, erfolgreiche Unternehmen mit überzeugenden Geschäftsmodellen – die aktuell sehr günstig bewertet seien. „Insofern bietet der chinesische Aktienmarkt trotz aller Herausforderungen und schlechtem Sentiment für risikobewusste Anleger auch Chancen“, befindet Kummer.
Wer jetzt schon den Mut aufbringt, auf das Comeback der chinesischen Börse zu wetten, kann auf eine reiche Auswahl an passenden ETFs zurückgreifen. Rund 50 China-Aktien-ETFs notieren an der deutschen Börse. Darunter gibt es die unterschiedlichsten Kombinationen zwischen breit diversifizierten und konzentrierten Indizes für chinesische On- und/oder Offshore-Aktien, mit oder ohne ESG-Filter. Auch Branchen-ETFs sind verfügbar. Welche ETFs an Xetra notieren, zeigt unsere große ETF-Datenbank ab Seite 39.
Schwieriger wird es für alle, die zwar Schwellenländer-Aktien im Portfolio wollen, aber (noch) nicht an die Erholung der chinesischen Märkte glauben. Eine Möglichkeit ist, den Schwellenländeranteil mit einzelnen ETFs für ausgewählte Emerging Markets abzubilden. Auch für diesen Ansatz stehen ausreichend ETFs zur Verfügung, die eine ganz individuelle Länder-Selektion und Gewichtung ermöglichen oder auch etwas breitere Investments in Aktien aus Lateinamerika, Osteuropa oder Afrika.
Der bessere Index
Keine echte Option für China-Skeptiker ist dagegen der bekannte und breit angelegte MSCI-Emerging-Markets-Index. Dieser Index umfasst 1440 Aktien aus 24 Schwellenländern und deckt damit 85 Prozent der Marktkapitalisierung ab. Doch die große Anzahl von Titeln und Aktienmärkten bringt nur begrenzte Diversifikation. Trotz ihrer Kursrückgänge in den vergangenen zwei Jahren kommen chinesische Aktien im MSCI-Emerging-Markets-Index noch immer auf einen Anteil von rund 25 Prozent. Etwas geringer ist die China-Dominanz in einem aktiven Schwellenländer-ETF. Im Fidelity Emerging Market Quality Income ETF belegen chinesische Aktien aktuell nur 19 Prozent des Portfolios.
Zugang zu Schwellenländer-Indizes ohne Exposition zum chinesischen Markt bieten nur einige wenige ETFs. Sie bilden den MSCI-Emerging-Markets-ex-China-Index ab. Dieser enthält aktuell 675 Aktien aus denselben Schwellenländern wie der traditionelle MSCI-Emerging-Markets-Index, nur chinesische Titel fehlen. Anstelle Chinas kommt in diesem Index Indien mit 24 Prozent Anteil auf das größte Gewicht, gefolgt von Taiwan (22 Prozent) und Südkorea (16 Prozent). Schon im vergangenen Jahr wären diese ex-China-ETFs eine gute Wahl gewesen. Sie entwickelten sich deutlich besser als der MSCI-Emerging-Markets-Index.
Von Wilhelm Nordhaus, März 2024, © ETF Magazin
Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETF Magazins, dem Fachjournal für Profis und informierte Anleger*innen.
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