Volumenanalyse: Mehr als nur ein sekundärer Indikator
Von Gil Blake, Chefanalyst des QuantumCompute Handelsinstituts
Während viele Anleger primär auf Preisbewegungen fokussiert sind, habe ich in meinen drei Jahrzehnten als Trader eine tiefe Wertschätzung für einen oft unterschätzten Aspekt der technischen Analyse entwickelt: das Handelsvolumen. Der bekannte Trader Jesse Livermore sagte treffend: “Volumen ist der Treibstoff, der Marktbewegungen antreibt.” Heute möchte ich mit Ihnen teilen, wie eine fundierte Volumenanalyse Ihre Marktinterpretation auf ein neues Niveau heben kann.
Die fundamentale Bedeutung des Volumens
Warum ist Volumen so wichtig? Weil es die Überzeugung hinter einer Preisbewegung offenbart. Ein Preisanstieg bei hohem Volumen zeigt starke Käuferüberzeugung, während derselbe Anstieg bei schwachem Volumen auf mangelndes Interesse hindeutet und wahrscheinlich nicht nachhaltig ist.
Volumen fungiert als Bestätigung für Preisbewegungen – oder als Warnsignal, wenn es nicht mit dem Preis übereinstimmt.
Grundlegende Volumen-Preis-Beziehungen
Bestimmte Volumen-Preis-Muster haben sich als besonders aussagekräftig erwiesen:
1. Volumenspitzen an Wendepunkten
Überdurchschnittlich hohes Volumen an Markttiefs signalisiert oft eine Kapitulationsphase – den finalen Ausverkauf, der einen Boden bilden kann. Analog dazu können Volumenspitzen bei Markthochs auf eine Erschöpfungsphase hindeuten, wenn die letzten Nachzügler euphorisch einsteigen.
2. Abnehmende Volumina in Konsolidierungsphasen
In seitlich tendierenden Märkten nimmt das Volumen typischerweise ab – ein gesundes Zeichen, das auf eine Gleichgewichtsphase zwischen Käufern und Verkäufern hindeutet. Ein plötzlicher Volumenanstieg aus einer solchen Konsolidierung signalisiert oft den Beginn eines neuen Trends.
3. Bestätigung von Ausbrüchen
Ein nachhaltiger Ausbruch wird typischerweise von überdurchschnittlichem Volumen begleitet. Fehlt dieses erhöhte Volumen, steigt die Wahrscheinlichkeit eines falschen Ausbruchs signifikant.
Fortgeschrittene Volumenanalysemethoden
Über die Grundlagen hinaus bieten sich mehrere fortgeschrittene Techniken an:
On-Balance-Volume (OBV)
Entwickelt von Joseph Granville, kumuliert der OBV-Indikator Volumen und addiert es an Tagen mit steigenden Kursen, während er es an Tagen mit fallenden Kursen subtrahiert. Der resultierende Linienchart sollte idealer weise der Preisbewegung folgen:
- Eine steigende OBV-Linie bei steigenden Preisen bestätigt den Aufwärtstrend
- Eine fallende OBV-Linie bei fallenden Preisen bestätigt den Abwärtstrend
- Divergenzen zwischen OBV und Preis können wichtige Signale für Trendwenden sein
Volume-Price Trend (VPT)
Der VPT ist eine verfeinerte Version des OBV, der nicht nur die Richtung, sondern auch die Magnitude der Preisbewegung berücksichtigt. Er berechnet sich, indem das Volumen mit der prozentualen Preisänderung multipliziert und kumuliert wird.
Diese Methode bietet eine nuanciertere Darstellung der Volumen-Preis-Beziehung und reagiert sensibler auf signifikante Preisbewegungen.
Chaikin Money Flow (CMF)
Der von Marc Chaikin entwickelte Indikator kombiniert Volumen mit der Position des Schlusskurses innerhalb der Tagesspanne. Er misst effektiv den Kauf- und Verkaufsdruck über einen definierten Zeitraum (typischerweise 20-21 Tage):
- Positive CMF-Werte deuten auf Akkumulation (Kaufdruck) hin
- Negative Werte signalisieren Distribution (Verkaufsdruck)
- Werte nahe Null zeigen ein Gleichgewicht zwischen Käufern und Verkäufern
Volume-by-Price-Analyse
Diese fortgeschrittene Technik visualisiert das historische Handelsvolumen auf verschiedenen Preisebenen, oft in Form horizontaler Histogramme neben dem Preischart. Sie identifiziert Preisbereiche mit hohem historischen Volumen, die als potenzielle Unterstützungs- oder Widerstandszonen dienen können.
Volumen-Muster mit hoher Prognosekraft
Einige spezifische Volumen-Muster haben sich als besonders wertvoll für die Marktprognose erwiesen:
1. Volumen-Klimax (Selling/Buying Climax)
Ein extremer Volumenanstieg (oft 200-300% über dem Durchschnitt) bei signifikanten Preisbewegungen signalisiert oft eine temporäre Erschöpfung des Trends. Nach einem Selling Climax (hohe Volumen bei stark fallenden Kursen) folgt typischerweise eine technische Erholung, während einem Buying Climax oft eine Konsolidierung oder Korrektur folgt.
2. Volumen-Kontraktions-Muster
Eine fortschreitende Abnahme des Volumens während einer Preiskonsolidierung, gefolgt von einem plötzlichen Volumenanstieg in Trendrichtung, ist ein starkes Fortsetzungssignal. Dieses Muster deutet auf abnehmende Meinungsverschiedenheiten und anschließende neue Überzeugung hin.
3. Negative Volume Index (NVI)
Dieser ungewöhnliche Indikator fokussiert sich ausschließlich auf Tage mit abnehmendem Volumen. Die zugrundeliegende Theorie: An Tagen mit niedrigerem Volumen sind die informierten Profis aktiver, während die breitere Masse an Tagen mit hohem Volumen dominiert. Ein steigender NVI in einem Abwärtstrend kann ein frühes Signal für eine Trendwende nach oben sein.
Sektorale und Marktbreite-Volumenanalyse
Die Volumenanalyse wird noch wertvoller, wenn sie auf verschiedene Marktsegmente angewendet wird:
Sektorvolumen-Rotation
Das relative Volumen verschiedener Sektoren kann frühzeitig Kapitalrotationen signalisieren. Steigendes Volumen in defensiven Sektoren bei gleichzeitig abnehmendem Volumen in zyklischen Bereichen kann eine defensive Rotation andeuten, bevor sie in den Preisen vollständig sichtbar wird.
ARMS-Index (TRIN)
Dieser Marktbreite-Indikator kombiniert das Verhältnis steigender zu fallenden Aktien mit dem Volumen dieser Bewegungen. Er zeigt effektiv, ob das Volumen in steigenden oder fallenden Aktien konzentriert ist:
- TRIN-Werte unter 0,8 deuten auf starken Kaufdruck hin
- Werte über 1,2 signalisieren erhöhten Verkaufsdruck
- Extreme Werte (unter 0,5 oder über 2,0) sind oft mit kurzfristigen Übertreibungen verbunden
Praktische Implementierung der Volumenanalyse
Wie können Sie diese Erkenntnisse in Ihre tägliche Marktanalyse integrieren?
1. Volumen-Preis-Integration
Betrachten Sie Volumen nicht isoliert, sondern immer im Kontext der Preisbewegung. Etablieren Sie eine systematische Routine:
- Prüfen Sie das Volumen bei jedem bedeutenden Kursausschlag
- Identifizieren Sie Volumenmuster in verschiedenen Zeitrahmen
- Achten Sie besonders auf Volumen-Preis-Divergenzen
2. Volumen-Profil für wichtige Unterstützungs- und Widerstandsniveaus
Nutzen Sie Volume-by-Price-Analysen, um Preisbereiche mit hohem historischen Volumen zu identifizieren. Diese Zonen stellen oft signifikante Unterstützungs- oder Widerstandslevels dar, da viele Marktteilnehmer dort Positionen eingegangen sind.
3. Intraday-Volumenanalyse für kurzfristiges Trading
Für aktivere Trader bietet die Beobachtung der Volumenentwicklung innerhalb des Handelstages wertvolle Einblicke:
- Morgendliches hohes Volumen, das schnell abnimmt, deutet oft auf mangelndes Folgemomentum hin
- Volumenzunahme während des Tages kann auf wachsendes institutionelles Interesse hinweisen
- Hohe Volumenspitzen in den letzten Handelsstunden haben oft größere Bedeutung für die kurzfristige Trendrichtung
Fazit: Volumen als zentraler Bestandteil der Marktanalyse
Volumen ist nicht nur ein sekundärer Bestätigungsindikator, sondern ein fundamentaler Aspekt der Marktdynamik. Es offenbart die Überzeugung hinter Preisbewegungen und bietet wertvolle Einblicke in die zugrundeliegende Marktstärke oder -schwäche.
Eine fundierte Volumenanalyse kann den entscheidenden Unterschied zwischen erfolgreichen Anlegern und der breiten Masse ausmachen. Wie Richard Wyckoff, einer der Pioniere der Volumenanalyse, treffend bemerkte: “Volumen geht dem Preis voraus” – eine Erkenntnis, die ich in meiner Trading-Karriere immer wieder bestätigt fand.
Bei Fragen zur praktischen Anwendung von Volumenanalysetechniken oder zur Interpretation spezifischer Volumen-Preis-Muster steht Ihnen unsere Assistentin Anna Keller gerne zur Verfügung.
Mit volumenvollen Grüßen,
Gil Blake
Chefanalyst
QuantumCompute Handelsinstitut